Nachdem der Kick-off mit dem Blog geschafft ist, stellt sich die Frage wie es nun richtig los geht. Da kommt mir die Blog-Parade des Info-Point Museen & Schlösser in Bayern gerade recht. Unter dem Motto „Perlenfischen“ sammeln sie die Perlen in der Museumslandschaft aus der ganz subjektiven Sicht der Bloggerinnen und Blogger. Was läge mir also näher, als die Museumsperle zu beschreiben, die ich gefischt habe: das Museum der Alltagskultur im Schloss Waldenbuch. Eine Perle, die nicht meine ist, sondern die mir anvertraut ist und die ich eine gewisse Zeit begleiten und prägen darf.
1989 wurde das Museum eröffnet, damals noch unter dem sperrigen Titel des „Museums der Volkskultur“. Der Umbau des Schlosses hatte sich über Jahre in die Länge gezogen. Anfangs noch als kleines Museum gedacht, wuchs es in der Planungsphase immer weiter an und hatte am Ende (und heute noch) 2.500qm Ausstellungsfläche. Doch ich will nicht über die Vergangenheit reden. Es geht um das hier, jetzt und heute.
Was macht das Museums aus?

Ich, und ich glaube viele Besucher_innen auch, fühlen sich hier irgendwie zuhause. Die ausgestellten Objekte sind einem vertraut, man ist mit ihnen aufgewachsen, kennt sie aus Erzählungen und wundert sich ganz oft, das dieses Stück schon museumsreif ist. Die Schwelle das Museum zu betreten ist also sehr niedrig. Es braucht keine Vorkenntnisse, um ein Experte/Expertin im Alltag zu sein. Und das ist eigentlich schon der Kern: auf einer sehr einfachen Ebene kann hier Kommunikation entstehen: über Generationen hinweg oder zwischen Menschen mit unterschiedlicher kultureller Prägung. Im Alltag werden nämlich die Grundkonstanten des menschlichen Lebens verhandelt: wie wohnen wir, wie arbeiten wir, woran glauben wir, wer sind wir. All diese Fragen beantworten wir Tag für Tag in unserem Alltag. Und das Museum sammelt genau die Objekte, die diese Antworten ausdrücken, in sich tragen oder vielleicht wieder in Frage stellen.
Ein Beispiel? Ein Wohnraum ist auch ein Ort an dem wir uns geschützt fühlen. Wie stellen wir diesen Schutz her? Mit Mauern, Kameras, Spionen. Aber auch mit Segenssprüchen, Amuletten oder letztendlich nur mit der Bettdecke, die wir über den Kopf ziehen, wenn wir uns fürchten? Das zeigt das Museum und es zeigt es über verschiedene Epochen hinweg, und eben auch die Ausprägungen in unterschiedlichen Kulturkreisen. Durch die Themen kann ein interkultureller Dialog entstehen. Ein Begreifen verschiedner Vorstellungen wird möglich.
Wo kommt die Museumsperle her?

Volkskunde-Museen waren ein Gegenentwurf zu den klassischen kulturhistorischen Museen, und wollten eben das Leben der „einfachen“ Leute zeigen. Damit sollte deren Kultur in den gleichen Rang gehoben werden, wie die der Herrschenden. Ein Emanzipationsprojekt. Der Zulauf war in den 1980er und 1990er Jahren entsprechend riesig, auch in Waldenbuch. Der Zugang zur Welt der „kleinen“ Leute war für viele Menschen einfacher. Es fiel den meisten Besuchern leichter eine Verbindung zur eigenen Lebensrealität herzustellen. Dennoch zielten die Projekte stärker darauf ab den historischen Personen mehr Bedeutung zukommen zu lassen und gleichzeitig den Menschen im hier und jetzt zu signalisieren, dass auch ihre Lebenswirklichkeit, ihr Alltag von historischer Bedeutung ist. Ein Ansatz der heute nicht mehr ausreicht.
In den letzten Jahren ist das Museum in Waldenbuch zudem vor allem ein Ausflugs- und Veranstaltungsmuseum geworden. Familientage führen teilweise mehrere tausend Besucher an einem Tag ins Haus. Es wird gebastelt, Stockbrot oder Weihnachtsgebäck gebacken, es gibt Kaninchen zum Streicheln und auf Ponys kann geritten werden. Damit wurde das Museum an diesen Tagen sehr attraktiv für Familien. Naherholung, und das obwohl das Museum mit dem ÖPNV extrem schwer zu erreichen ist. An diesen Tagen strahlt meine Museumsperle, auch wenn der Inhalt vielleicht etwas auf der Strecke bleibt.
Und wo geht sie hin?

Damit das Museum wieder zu einer glänzenden Museumsperle wird, muss sich die Grundidee des Hauses ändern. Es kann nicht mehr um Emanzipation alleine gehen. Die Darstellung historischer Lebensrealitäten haben immer weniger Relevanz für die Menschen heute. Das Leben in der Gegenwart scheint mit historischen Situationen in keinster Weise mehr vergleichbar zu sein. Andere Fragen drängen sich auf: wie verändert sich Kultur durch die weltweiten Migrationsbewegungen? Wie verändert sich meine Arbeit und mein Alltag durch die Digitalisierung? Fragen auf die die Vergangenheit scheinbar keine Antworten zu geben hat. Wirklich?
Kultur ist nichts Statisches und war es auch nie. Die menschliche Existenz war ständig Wandlungen unterworfen. Migration ist der historische Normalfall. Und für all dies findet man Spuren in den Sammlungen. Das ist die Zukunft des Museums der Alltagskultur: ein Museum das Fragen von heute aufgreift, sie vielleicht nicht beantwortet, aber sie mit historischen Situationen vergleicht.
Eine Museumsperle beim Polieren

Seit ein paar Jahren hat sich das Museum der Alltagskultur auf diesen Weg gemacht. Ausstellungseinheiten wie „Zeitsprünge“ vergleichen gesellschaftliche Phänome in ihren historisch unterschiedlichen Ausdrucksformen. Dabei geht es um Themen wie Potenz, Protz, den Umgang mit Ressourcen, Einkaufen oder Hygiene. Ein historisches Objekt wird neben einen aktuellen Gegenstand gestellt. Bei gelungenen Verbindungen versteht man die Gegenwart ein bisschen besser, bei weniger gelungenen verstehen die Besucher zumindest das historische Objekt besser.
Ein weiterer Teil der Ausstellung setzt sich mit dem Wohnen auseinander, aber eben nicht mit den verschiedenen Räumen einer Wohnung, sondern mit den verschiedenen Bedürfnissen, die in oder durch eine Wohnung befriedigt werden müssen: Schutz, Wärme, Licht oder Sauberkeit.
Das gesamte zweite Stockwerk befindet sich eigentlich noch im Zustand von 1990. Hier geht es um Arbeiten, Kleidung, Frömmigkeit und Wandschmuck. Hier spüre ich immer den Atem der Geschichte; die 1980er Jahre sind greifbar. Beim Thema Arbeit bekommt die Hausarbeit eine große Aufmerksamkeit und bei der Frömmigkeit die politische Dimension der Religion. Bilder von Ostermärschen sind hier eine Selbstverständlichkeit. Eigentlich erklärt dieses Stockwerk ganz gut was in den1980er Jahre die aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen waren. Hier ist die Museumsperle matt geworden und muss poliert werden. Bei der Frömmigkeit gibt es eben auch nur Katholiken, Protestanten und Juden. Die gesellschaftliche Realität sieht heute anders aus (eigentich auch damals).
Eine mutige Museumsperle

Das Museum war immer mutig. Gottfried Korff hat hier kuratiert, das Team hat Anfang der1990er Jahre bereits mit einer Computerdatenbank inventarisiert und die Plakataktion „Helden des Alltags“ ist legendär. Kaum ein anderes Museum würde sich wohl trauen dem Tampon, der Klopapierrolle oder der Klobürste ein ganzes Plakat zu widmen. Es ist groß genug, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Es ist aber auch klein genug, um wendig zu bleiben. Diese Mischung ist die große Stärke meiner frisch gefischten Museumsperle. Sie zeigt selbstverständlich eine Viagra-Tablette, Spülmaschinen, Nazi-Kitsch und einen katholischen Altar. Die ganze Brandbeite des unendlichen weiten Begriffs Alltag ist hier zu sehen. Es gibt keine Berührungsängste, sondern den Willen Themen aufzugreifen und zu reflektieren.
Da ist das, warum ich meine Museumsperle so gerne hab und warum wir hoffentlich auch so gut zueinander passen. Relevant sein, sich einmischen, das Museum nicht als Vorratskeller für Vergangenheit sehen, sondern ihm einen Platz in der Gegenwart geben, Diskussionen voranzutreiben und Menschen dafür zu begeistern sich mit der eigenen und fremden Kulturen auseinanderzusetzen. Das macht das Museum der Alltagskultur zur Museumsperle.
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